Mehrsprachigkeit – für ein aktiveres und gesünderes Gehirn

Mehrsprachigkeit und Gehirnaktivität

Mehrere Sprachen zu sprechen ist gesund. Lesen Sie hier, was das Sprachenlernen mit unserem Gehirn macht, warum Mehrsprachigkeit Demenz verzögern kann und weswegen mehrsprachige Teams besonders kreativ beim Problemlösen sind.

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Jeder, der schon einmal auf Reisen im Ausland war oder an einer internationalen Konferenz teilgenommen hat, weiß um die Vorteile von Fremdsprachenkenntnissen. Was allerdings kaum bekannt ist: Mehrsprachigkeit ist gesund, denn sie wirkt sich positiv auf die Funktionen und die Struktur unseres Gehirns aus – und das gleich auf mehrere Arten.

Mehrsprachigkeit hinterlässt ihre Spuren

In diesem Blogartikel geht es also um die Effekte, die Mehrsprachigkeit auf unsere Hirnlandschaft hat. Wer darüber schreibt, muss auch Neuroplastizität erwähnen. Dies ist der Fachbegriff für die Veränderlichkeit des Hirns. Wiederholt ausgeführte Aufgaben (z.B. täglich eine Fremdsprache aktiv anwenden) verändern mit der Zeit die Funktion und Struktur des Gehirns.

Im letzten Jahrzehnt wurde eine Vielzahl an Studien veröffentlicht, die belegen, dass Fremdsprachen tatsächlich etwas mit unserem Hirn anstellen. Zweisprachige Menschen schneiden bei vielen Aufgaben besser ab als einsprachige – nicht nur bei Tests über soziale und kognitive Kompetenzen, sondern auch was die Empathiefähigkeit und kreative Lösungsfindung betrifft.

Die am intensivsten erforschte Variante der Mehrsprachigkeit, die Auswirkungen auf unser Gehirn hat, ist die Bilingualität (Zweisprachigkeit); daher wird in diesem Artikel auch vorrangig darauf Bezug genommen. Apropos Zweisprachigkeit …

Schädliche Bilingualität? Mitnichten …

Heute ist man sich einig: Zweisprachig aufwachsende Kinder genießen buchstäblich „von Haus aus“ ein paar Vorteile, die ihren einsprachigen Altersgenossen vorenthalten bleiben. Spulen wir aber in die 1960er zurück, müssen wir feststellen, dass die Wissenschaft damals ganz anderer Meinung war. Tatsächlich war man überzeugt, dass mehrsprachig aufwachsende Kinder kognitiv beeinträchtigt seien, da zu viel Energie auf das Managen von mindestens zwei verschiedenen Sprachsystemen verwendet würde, mit dem Effekt, dass die Hirnentwicklung verlangsamt würde. Zwar stimmt es, dass mehrere Sprachen für das Gehirn mehr Anstrengung bedeuten – das bedeutet allerdings auch mehr Hirntraining. Denn eine zweite Sprache zu lernen ist Aufgabe des gesamten Gehirns.

Eine Sprache lernen – ganzheitliches Training fürs Gehirn

Eine Sprache so zu lernen, dass man sie passiv und vor allem aktiv beherrscht, ist, wie wohl jeder weiß, aufwändig – es benötigt Zeit, Ressourcen und Einsatz, sowie die Leistung Ihres Gehirns.

Eine Sprache besteht aus Komponenten, die zu verschieden sind, als dass sie nur von einem Teil des Hirns verarbeitet werden können. Die Bestandteile einer Sprache lassen sich grob folgendermaßen gliedern:

  • Schreibsystem (Orthographie)
  • Vokabular
  • Lautsystem (Phonologie)
  • Grammatik
  • Pragmatik (die richtige Äußerung in der richtigen Situation finden)
Mehrsprachigkeit und Gehirnaktivität

©Sangoiri/fotolia.com

Um all diese Teile einer Sprache zu meistern und miteinander zu verknüpfen, aktivieren wir beim Lernen verschiedene Areale des Hirns. Beispielsweise nutzt man für das Erlernen der Phonologie Frontal- und Temporallappen; das Vokabular beschäftigt den Parietal- und Frontallappen, Pragmatik beansprucht beide Hirnhälften gleichermaßen. Macht man sich dies bewusst, wird ersichtlich: Das Hirn kann durch Spracherwerb gar nicht das „alte“ bleiben – es verändert sich mit seinen Aufgaben.

Bildgebende Verfahren und Hirnmuskeln

Was Mehrsprachigkeit mit dem menschlichen Gehirn macht, lässt sich mittlerweile mit bildgebenden Verfahren (z.B. Magnetresonanztomographie) sichtbar machen.

Wie man feststellen konnte, führen die Aufmerksamkeit und Konzentration, die man für die Fremdsprachenbeherrschung benötigt, zu mehr Aktivität im dorsolateralen Präfrontalcortex (an der Stirnseite des Hirns). 

Mehrsprachigkeit und Gehirnaktivität

Dieser spielt eine große Rolle bei den sogenannten exekutiven Funktionen wie Problemlösen und Aufgabenwechseln (wie dem Hin- und Herwechseln zwischen zwei Sprachen). 

Ebenso wurde beobachtet, dass das mehrsprachige Gehirn die ganze Zeit damit beschäftigt ist, das richtige Sprachsystem im richtigen Moment zu aktivieren. Der vordere Teil des Gyrus cinguli – ein Teil des limbischen Systems und zentral im Gehirn gelegen – unterdrückt nämlich den Drang, die Worte und die Grammatik der jeweiligen „falschen“ Sprache zu benutzen. 

Kurz gesagt: Mehrere Sprachen bedeuten für das Hirn nonstop Multitasking. Dies wirkt sich auf den zuvor genannten Gyrus cinguli merklich aus – denn tatsächlich verfügen mehrsprachige Menschen in diesem Teil des Gehirns über mehr graue Substanz als einsprachige. Der vordere Teil des Gyrus cinguli ist also wie ein Muskel: Je häufiger er benutzt wird, umso mehr wächst er. Und mehrsprachige Menschen benutzen ihn besonders oft. 

Mehrsprachigkeit – sich wappnen gegen die Demenz

Man kann also mehrsprachige Menschen mittlerweile bloß anhand ihrer Hirnscans von einsprachigen Menschen unterscheiden. Dies ist an sich schon erstaunlich genug, aber noch längst nicht alles. In mehreren Studien wurde die Entdeckung gemacht, dass Zweisprachigkeit das Hirn so verdrahtet, dass die verschiedenen Areale besser miteinander verbunden werden. Dies führt zur Ausbildung eines „kognitiven Puffers“. Genau der kommt zum Einsatz, wenn das Hirn durch Demenz Schaden zu nehmen droht. Die zweite Sprache verschiebt das Einsetzen von Krankheiten wie Demenz um bis zu fünf Jahre nach hinten. Gute Nachrichten in einer Welt, die Mehrsprachigkeit zunehmend fördert und fordert.

Auch Unternehmen profitieren

Mehrsprachigkeit und Gehirnaktivität

©luismolinero/Fotolia.com

Fasst man nun alle diese Erkenntnisse zusammen, ist es noch offensichtlicher, warum Mehrsprachige ein großes Plus für Unternehmen darstellen. Natürlich spielen Bewusstsein und Respekt für andere Kulturen eine große Rolle in der Unternehmenskultur von Global Players. Nur verdeutlichen diese neurolinguistischen Erkenntnisse noch besser, warum Teams, bestehend aus Menschen mit verschiedenen kulturellen und sprachlichen Hintergründen, viel kreativer und innovativer bei der Lösungsfindung sind. Nicht nur vermischen sich hier verschiedene Ansätze, sondern die Hirne dieser Menschen sind dank Mehrsprachigkeit einfach fitter. Somit bringen zweisprachige Menschen automatisch jede Menge Eigenschaften mit, die man sich als Arbeitgeber wünscht.

Oberstes Gebot: Mehrsprachigkeit leben

Um sich die positiven Effekte der Mehrsprachigkeit auf das Hirn zu behalten, muss man allerdings seine Sprachen aktiv anwenden. Einige wenige Vorschläge: Besuchen Sie Sprachkurse, verreisen Sie, schließen Sie Freundschaft mit einem Menschen, der Ihre Fremdsprache als Muttersprache hat! Denn schließlich ist es wie beim Sport: So wie Bewegung unseren Körper fit hält, sorgen mehrere Sprachen für mehr Gesundheit im Hirn. Und ist es je verkehrt, seinem Hirn einen Gefallen zu tun?

Tanja Feldhofer - bildungsraum Bloggerin

Über die Autorin

Tanja Feldhofer ist freiberufliche Übersetzerin und hat somit ihre Leidenschaft für Sprachen zum Beruf gemacht. Tatsächlich dreht sich auch ein beträchtlicher Teil ihrer Freizeit um das geschriebene Wort und um Weiterbildung im allgemeinen. Ihr Wissensdurst scheint unstillbar. Für bildungsraum verfasst sie Blogbeiträge und erstellt Texte aller Art.

Bildquelle Titelbild: ©tumsasedgars/fotolia.com


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