Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Polen so empfindlich auf jegliche Form der Einmischung reagieren? Warum es so schwierig ist, einen Polen auf seine Seite zu ziehen? Wie das Hierarchieverständnis der Polen aussieht? Oder warum Polen die deutsche Sprache nicht mögen?
Dieser Artikel erklärt viele polnische Eigenheiten und ist gleichzeitig eine Liebeserklärung der Autorin an ihre Heimat.
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Ich war vor Kurzem auf einer Silberhochzeitsfeier in Polen. Abgesehen vom Essen, von der Art des Feierns, vom Umgang der Gäste miteinander und der unbeschreiblich authentischen Fürsorge der Gastgeber gegenüber jedem Einzelnen ist mir die interessante Frage einer charmanten, weltoffenen Dame in Erinnerung geblieben, nämlich, ob ich denn, angesichts meiner Tätigkeit in einem internationalen Unternehmen, nicht froh sei, dass ich Polnisch sprechen kann, denn so hätte ich doch klare Vorteile gegenüber jenen, die keine zusätzliche Fremdsprache sprechen. Meine Antwort war ehrlich, aber sie hat uns beide sehr verwundert, denn tatsächlich brauche ich diese zusätzliche Fremdsprache in meinem Job NICHT, weil die gesamte Firmenkorrespondenz auf Englisch passieren muss, damit jeder sie versteht. Und genau hier beginnt die größte Herausforderung der Interkulturellen Kommunikation: Zwar verstehen wir einander alle auf der ganzen Welt, aber in Wahrheit haben wir viel zu oft keine Ahnung, was der andere eigentlich sagt.
Der folgende Artikel ist eine Liebeserklärung an meine Heimat und zeigt ganz nebenbei, wie und warum er so tickt – der polnische Mitmensch …
What it’s all about: der geschichtliche Background
Um einen Polen zu verstehen, muss man die Geschichte des Landes kennen. Das Königreich Polen war vor gerade mal 400 Jahren im Bund mit dem Herzogtum Litauen und weiten Teilen der heutigen Ukraine der größte Staat Europas. Jedes österreichische Schulkind kennt die legendäre Schlacht am Kahlenberg, wo es dem Polenkönig Sobieski gelang, Wien von der Türkenbelagerung zu befreien. Es gab eine Zeit, in der Polen DIE Supernation war, die alles wieder gutmachte, wenn alle anderen versagt hatten. Nachdem aber jeder Superman sein möchte, kam es bereits 100 Jahre später zur Zerschlagung der polnischen Staatsgebiete. Die drei vermeintlich besten Freunde Polens, nämlich Russland, Preußen und Österreich, besetzten das Land und vergessen schien Österreichs Dankbarkeit über die Heldentat Jan III. Sobieskis am Kahlenberg.
Das ist nur eine von vielen Geschichten. Und bestimmt hat jedes europäische Land seine eigene Sicht auf „seine“ Geschichte. Doch im Fall Polens scheint immer ein Unbehagen der anderen Mächte mitgespielt zu haben. Wenn es brenzlig wurde, rief man die Polen, diese kamen, sahen und siegten. Aber die Dankbarkeit war schnell erloschen, sobald man selbst wieder Oberwasser hatte. Es scheint fast so, als hätte man immer ein wenig Angst und gleichzeitig Ehrfurcht vor Polen gehabt. Und obwohl diese Erfahrungen für viele westeuropäische Länder kaum nachvollziehbar sind, sind sie maßgeblich für viele polnische Eigenheiten, allen voran Freiheitsliebe. Polen hassen jegliche Art von Einmischung, sowohl im kleinen, privaten Kreis als auch im staatstragenden Sinn. Zuerst wird alles als Bedrohung empfunden und es ist daher eine große Herausforderung, einen Polen auf seine Seite zu ziehen. Dazu braucht es Geduld, Sensibilität, Verständnis, ja, es braucht interkulturelles Bewusstsein, denn mit einer falschen Geste, einem falschen Wort kann schnell alles vorbei sein, was vielversprechend begonnen hat.
Die polnische Nationalhymne beginnt mit den Worten: „Jeszcze Polska nie zginęła, kiedy my żyjemy. Co nam obca przemoc wzięła, szablą odbierzemy ...“, was so viel heißt wie: „Noch ist Polen nicht verloren, solange wir leben. Was uns die fremde Übermacht wegnahm, werden wir uns mit dem Säbel zurückholen.“ Diese Zeilen sind die Basis für das Werteprinzip eines jeden Polen. Die polnische Identität ist eine zentrale Eigenschaft, er wächst damit auf. Er ist stolz, ein Pole zu sein. Und er weiß und glaubt fest daran, dass alles möglich ist. Er sieht Gesetze und Vorschriften als Überbleibsel aus der Besatzungszeit und liebt es zu improvisieren. Polen sind „Macher“. Sie fackeln nicht lange, sondern handeln. Und vermutlich ist das auch ihre Schwäche, die ihnen im Laufe der Geschichte auf der einen Seite Ruhm und Ehre einbrachte, auf der anderen Seite viel Blutvergießen und schmerzhafte Verluste.
Ich hatte als Jugendliche einmal eine interessante Unterhaltung mit einem älteren Herrn, einem, sagen wir, Ur-Österreicher seit vielen, vielen Generationen. Er war gefühlt 120 Jahre alt und hat entsprechend viel miterlebt. Und er sagte zu mir, voller, ich möchte meinen, Anerkennung: „Wenn du jemals von ausländerfeindlicher Arroganz angefeindet wirst, denke daran, dass DU die wahre Österreicherin bist, denn Du bist aus Krakau.“ (Zur Erklärung: Krakau in der Region Galizien war bei Polens Aufteilung jener Teil, welcher der österreichisch-ungarischen Monarchie zugesprochen wurde).
Meins, Meins, Meins: die Nationalhelden
Ähnlich wie ihr Land, werden auch viele bedeutende Persönlichkeiten polnischer Herkunft gerne ausgeborgt. Dass die Nobelpreisträgerin Marie Curie eigentlich Maria Salomea Skłodowska hieß und Frédéric François Chopin eigentlich Fryderyk Franciszek Chopin und beide in bzw. in der Nähe von Warschau geboren und aufgewachsen sind, weiß kaum ein Nicht-Pole. Genauso wenig, dass Nikolaus Kopernikus, der Begründer des heliozentrischen Weltbildes, ein Pole war und der Mt. Kościuszko, der höchste Berg Australiens, nach dem polnischen Nationalhelden Tadeusz Kościuszko benannt wurde.
Um dieses verlorene Selbstbewusstsein wieder aufzurichten, entwickelte sich in Polen mit der Zeit eine starke Rückbesinnung auf zentrale polnische Werte. Die wenigen ruhmreichen geschichtlichen Ereignisse werden regelrecht zelebriert und die nationalen Helden verehrt. Es ist daher für einen interkulturellen Kontakt mit einem Polen eine nicht unwesentliche Grundvoraussetzung, nicht nur die polnische Geschichte zu kennen, sondern auch deren Nationalhelden.
Family always comes first: die Sonne, um die sich die Welt dreht
Der wichtigste Ankerpunkt im Leben eines Polen ist seine Familie. Vermutlich sind genau die vielen Jahre der Fremdherrschaft und unterdrückter Demokratie und Freiheit dafür verantwortlich, dass die sozialen Strukturen, allen voran die Familie, an enormer Bedeutung gewannen. Egal, wie alt man ist, der Kontakt zu den Eltern ist immer ein sehr intensiver und liebevoller. Bei wichtigen Entscheidungen wird immer der Rat der Familie eingeholt. Es ist nicht verwunderlich, dass auch die Gründung einer eigenen Familie eine wichtige Stellung einnimmt. Ehen werden kirchlich geschlossen und das Versprechen: „bis dass der Tod uns scheidet“ ist keine leere Floskel, sondern wird sehr ernst genommen. Aber natürlich gibt es auch in Polen Scheidungen und Ehebrüche, der Unterschied ist vielleicht nur jener, dass das nicht unbedingt „gut“ und „normal“ ist. Vielmehr ist das klassische Familienbild mit Mutter-Vater-Kind in Polen „normal“, nicht aber die Patchwork-Variante. Man könnte die Polen altmodisch nennen, ja, das sind sie vermutlich. Tatsache ist jedenfalls, dass die Unterstützung der Eltern und früher oder später auch vice versa so sicher ist, wie das Amen im Gebet.
Apropos Amen im Gebet: Tabu-Themen
Es gibt gewisse Themen, die man mit einem Polen, besonders wenn man mit ihm ins Geschäft kommen möchte, auf gar keinen Fall ansprechen sollte: Politik und Religion. Das sind sehr heikle Themen, die in Polen einen sehr emotionalen Stellenwert haben. Als Nicht-Pole ist es praktisch unmöglich, hier einen „richtigen“ Standpunkt zu beziehen. Daher – Finger weg!
Von Sprache zu Sprache: Mówisz po polsku? (Sprichst Du Polnisch?)
Nun kennt man die Geschichte, die Nationalhelden, den Stellenwert der Familie, die Tabuthemen - kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Wenn da nicht die sprachlichen Assoziationen wären. Es gibt zwei Sprachen, die sich in den Ohren eines Polen nämlich einfach nicht gut anhören – das sind Russisch und Deutsch. Die polnische Vergangenheit spielt nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle und ist – bewusst oder unbewusst – immer in den Köpfen der polnischen Geschäftspartner.
Daher ist es für einen Deutsch sprechenden Counterpart gewiss sinnvoll, ein paar Worte auf Polnisch ins Gespräch einfließen zu lassen. Ein banales „Dzień Dobry“ (Guten Tag) wirkt wahre Wunder, denn es vermittelt ein Gefühl des Respekts für die Herkunft des anderen und ist nicht zuletzt die Basis für ein Gespräch auf Augenhöhe.
Pani Kierownik und Pan Tomek (Herr Abteilungsleiter und Herr Tom): das Hierarchieverständnis
Eine witzige Eigenheit der Polen ist es, sich im Berufsleben ausschließlich mit der Berufsbezeichnung anzusprechen. Das beginnt beim Präsidenten und geht bis zum Abteilungsleiter. So heißt es: Pan Prezydent und Pan Kierownik. Kollegen untereinander sind entweder per Du oder per Sie, aber sie sprechen einander mit dem Vornamen an, also Pani Teresa und Pan Tomek. Man könnte meinen, es geht den Polen um die Honorierung ihrer Bildung oder Position, aber das ist es eigentlich nicht. Es geht vielmehr um den Respekt voreinander. Sich nur mit dem Nachnamen anzusprechen gilt als unhöflich. So ist es auch sehr unpassend, gegenüber einem Polen seine eigene Kompetenz darzulegen. Am Ende werden Geschäfte nämlich nicht durch akademische Titel, wie wir sie kennen, gemacht, sondern nur aufgrund von Sympathie.
Der Ton macht die Musik
Ein weiterer Punkt ist das berühmte „WIE“. In einer typischen polnischen Gesellschaft wird viel gelacht; miteinander, übereinander und am besten laut und authentisch. Der Schmäh läuft quasi die ganze Zeit und es ist keine Seltenheit und auch kein Zufall, dass jener potentielle Partner den Zuschlag bekommt, der am ehrlichsten und offensten mit dem polnischen Geschäftsmann ins Plaudern kommt. Für einen potentiellen Geschäftspartner sind zwei Dinge zu beachten: der erste Eindruck und der finale Handschlag. In Polen macht der Ton die Musik, generell ist der zwischenmenschliche Aspekt in Polen immer wichtiger als jeder Vertrag, obgleich es ihn natürlich gibt. Geschäfte werden primär per Handschlag besiegelt. So ist es auch empfehlenswert, Extrawünsche oder Sonderregelungen jedenfalls zuerst persönlich auszumachen, anstatt womöglich eine Email zu schreiben, die dann auch noch als überhebliches Schulmeistern aufgefasst wird.
Der Handkuss und das „gewisse Etwas“
Nicht zuletzt ist zu sagen, dass Polen Menschen mit sehr guten Manieren sind. Ein Pole weiß, was sich gehört, und behandelt sein Gegenüber immer mit Respekt. Dazu gehört ein Handkuss bei der Dame genauso dazu wie eine herzliche Umarmung unter Freunden. Wenn man also mit einem Polen Geschäfte machen möchte, punktet man mit genau diesen „Kleinigkeiten“, nämlich der Frage nach dem Wohlergehen der Familie, der zwischenmenschlichen Sympathie oder eben einem Handkuss bei der Dame, wobei eine Andeutung vollkommen ausreicht. Interessant ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass man im polnischen Geschäftsleben sehr oft auf viele hochqualifizierte, selbstsichere Verhandlungspartnerinnen trifft, die aber trotzdem betont weiblich auftreten. Klar sind polnische Geschäftsfrauen emanzipiert, aber eine kleidertechnische Anpassung an die Männerwelt würde sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern zu Verlegenheit führen. Von einer polnischen Geschäftsfrau wird erwartet, dass sie zwar tough ist, aber immer noch „Frau bleibt“.
Ich beende diesen Artikel passenderweise mit den letzten Worten von Henryk Sienkiewicz aus seiner Dankesrede anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur im Jahr 1905:
“This homage has been rendered not to me – for the Polish soil is fertile and does not lack better writers than me – but to the Polish achievement, the Polish genius. For this I should like to express my most ardent and most sincere gratitude as a Pole to you gentlemen, the members of the Swedish Academy, and I conclude by borrowing the words of Horace: Principibus placuisse non ultima laus est.” Henryk Sienkiewicz, polnischer Nobelpreisträger in Literatur und Autor von „Quo Vadis“ (1846-1916)
Über die Autorin
Justyna Enzi ist Trainerin im bildungsraum und schreibt regelmäßig Blogartikel und Texte zu ihren Kernthemen. Sie hat zwei Wirtschaftsstudien abgeschlossen und lebt auf Grund ihrer Beschäftigung in einem internationale Unternehmen seit vielen Jahren mitten im interkulturellen Miteinander.
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